
Lorella #1
Ich stellte mir vor, dass ein Mann damals, in der Zeit der echten Banditen, in diesem Wald Schutz gesucht hatte.
Mit einem gestohlenen Esel. Vielleicht mit einer Pistole im Gürtel. Mit Hunger? Und dann legte ich mich ins Gras und hörte, wie es unter mir knisterte.
Lorella war eine lustige ältere, sympathische, grauhaarige Frau. Im Alltag, auf der Straße, irgendwo im Supermarkt, wäre sie mir nicht besonders aufgefallen. Ihre Kleidung könnte ich jetzt – lange nach den Vorfällen – gar nicht genauer beschreiben. Doch müsste ich es, würde sich das ungefähr so anhören: Ein einfarbiges Oberteil, vermutlich langärmelig, und eine lange Hose, beides in Schwarz, Grau oder Dunkelblau. Keine Ahnung. Am Oberteil erinnere ich einen gehäkelten Ansatz, eine Art Spitze – aber sehr grob. Ihre Frisur: graues, halblanges Haar. Die Schuhe: Halbschuhe, grau oder schwarz, aus Leder. Alles ziemlich nichts sagend. Doch Lorella redete gerne und viel. Natürlich auf Italienisch.
Sie sagte immer freundliche Dinge, wie: „Kein Problem“, oder: „Das ist kostenlos“, oder: „Sie sind mein Gast“ – und natürlich:
„Allora“
Ich war zufällig an sie geraten, über eine Onlineplattform, und hatte bei ihr eine Ferienwohnung gemietet.
In ihrem Kühlschrank, gleich hinter der Rezeption, lagerte sie mehrere italienische Biersorten. Das Licht darin war kein Licht im eigentlichen Sinn, sondern eine Art kränkliches Leuchten, hier hatte sich jemand bemüht, die Kälte selbst sichtbar zu machen.
Direkt sympathisch fand ich ein Peroni mit rotem Etikett – ein Dreiviertelliter italienisches Bier. Ein beeindruckendes Format. So kalt, dass man es sich am liebsten direkt gegen die Stirn drücken wollte, um die Gedanken zu beruhigen, die in dieser Hitze nur noch kreisten. Ein Dreiviertelliter – das trinkt man nicht einfach mal „by the way“.
Die Waschmaschine war frei, ebenso das Klopapier. Das Bier würde sicherlich auf der Endabrechnung landen. Die Mülleimer lagen in Sichtweite meines Balkons. Die benachbarten Balkone der anderen Urlauber waren mir etwas zu nah, aber ich rauchte dennoch einen Joint, leerte die Reste des Biers und führte unentwegt Telefongespräche. Eigentlich war ich im Urlaub, aber das hier – das sollte wirklich in Arbeit ausarten.